Die Fraktionen der großen Koalition beabsichtigen den Zugang zur Krankenpflegeausbildung, von einem mittleren Bildungsabschluss, auf den Hauptschulabschluss zu senken. Die wörtliche Begründung für diesen Änderungsantrag lautet: “Damit wird der Zugang zu diesen Berufen für mehr Interessentinnen und Interessenten als bisher geöffnet, um frühzeitig vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung einen Mangel an Beschäftigten im Gesundheitswesen und insbesondere im Bereich der Pflege zu vermeiden.”
Unabhängig davon, dass natürlich durch Absenkung der Zugangsvoraussetzungen, eine quantitative Steigerung der potentiellen InteressentInnen möglich ist, muss schon gefragt werden, welch katastrophales Signal dieser Schritt für die Qualität der zukünftigen Pflegeberufe bedeutet.
Nebenbei verstößt diese Maßnahme gegen die Absicht europäische Ausbildungen in ihrer Wertigkeit anzugleichen. Deutschland, jetzt schon Schlusslicht bzgl. der Pflegeausbildung, ginge damit in die entgegengesetzte Richtung, wie die anderen europäischen Staaten. Wenn die Pflegeausbildung nicht sowieso schon auf akademischen Niveau stattfindet, wurde durch den Bologna-Prozess die entsprechende Entwicklung eingeleitet.
Was aber bedeutet das alles für die Zukunft der Pflege auf nationaler Ebene? Schon jetzt ist die Berufszufriedenheit von Pflegefachpersonen miserabel wie selten zuvor. Aufgrund extrem schlechter Rahmenbedingungen verlassen viele Pflegende schon nach wenigen Jahren wieder ihren Beruf. Diese Realität und nicht ein Mangel an BewerberInnen ist Ursache für den nun erneut anstehenden Pflegenotstand.
Warum kommt denn niemand auf die Idee wegen des ebenfalls zu erwartenden Ärztemangels, die Voraussetzungen für das Medizinstudium entsprechend zu senken?
Die bisher von der Politik, insbesondere der Bundesgesundheitsministerin angekündigten Absichten, die Rahmenbedingungen der deutschen Pflege zu verbessern und ihr somit den Rücken zu stärken, werden hiermit mehr als nur unglaubwürdig. Es drängt sich der Verdacht auf, dass wieder einmal durch unbedachten Aktionismus, kurzfristige wahlrelevante Effekte erreicht werden sollen.
Scheinbar merken die zuständigen PolitikerInnen der beiden Fraktionen nicht, dass sie mit dieser Änderung nicht nur die Pflegeberufe in Deutschland, sondern auch ihre eigene Fachlichkeit disqualifizieren. Dieses Vorgehen ist aberwitzig und beschämend, so wird es zukünftig keine fachgerechte und anspruchsvolle Pflege mehr geben!
Update 09.05.09:
Nun behauptet unsere Gesundheitsministerin auch noch, die Hauptschule würde diskriminiert, wenn sich Fachleute, Pflegende und Wissenschaftler, gegen diese neue Schnapsidee wenden.
Letztlich beweist sie damit wieder einmal, wie wenig Ahnung sie doch in vielen Details ihres “Fachgebietes” hat.
Auch die Aussage “Deutsche Pflegekräfte haben keine Schwierigkeiten, in anderen Ländern eine Arbeit zu finden” stimmt eben nur teilweise. In Wahrheit haben deutsche Pflegekräfte immer mehr Probleme beim Wechsel in andere Länder. Oftmals müssen wenigstens einige Nachqualifikationen erfolgen. Da in vielen europäischen Ländern der Bologna-Prozess schon weiter gediehen ist, wird dieses Problem eher noch zunehmen.
– Volker Haßlinger –
Stellungnahmen zum Thema von:
Deutscher Pflegerat | DBfK | BFLK | VPU | ADS | BA
Brief des DPR an Ministerin Ulla Schmidt
Forscher des DIP warnen vor Bildungsabstieg in der Pflege (04.05.09)
Artikel in “Der Tagesspiegel” (06.05.09)
Position Bündnis90/Grüne (07.05.09)
DIP: „Öffnung der Pflegeausbildung nicht notwendig“ (18.05.09)
Politik macht ernst und ignoriert Pflege (27.05.09)
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