“Zur Verbesserung der Versorgung muss unter den Bedingungen sich ändernder Krankheitsprofile wie beispielsweise die Zunahme geriatrischer oder demenzieller Erkrankungen, auch die bestehende Rollenverteilung zwischen den Gesundheitsberufen hinterfragt werde. Speziell bei der zunehmenden Zahl chronisch kranker und/ oder psychisch erkrankter Personen, steht weniger die – zweifellos wichtige – medizinische Behandlung denn die Bewältigung des Alltages mit der Krankheit an erster Stelle. Die Bedeutung von Beratung, Befähigung und Unterstützung der Patientinnen und Patienten im Zusammenhang mit der Krankheitsbewältigung wird zunehmen. Eine patientenorientierte Versorgung hat diesen Bedarfslagen Rechnung zu tragen. Eine nur einzelne Berufsgruppen berücksichtigende Perspektive reicht bei den komplexen Bedarfskonstellationen der Zukunft nicht mehr aus. Dies betrifft vor allem das Verhältnis zwischen ärztlichen Berufen, qualifizierten Pflegekräften sowie weiteren therapeutischen Berufen.
Anders als beispielsweise in Großbritannien (Advanced Nursing Practice), existiert in Deutschland bislang eine vollumfängliche ärztliche Zuständigkeit. Das bedeutet, dass bestimmte Tätigkeiten auch in der Pflege nur durch einen Arzt oder eine Ärztin ausgeübt bzw. verantwortet werden dürfen. Belege aus der Versorgungsforschung, die eine solche umfassende Beschränkung begründen würden, gibt es indes nicht.
Wir wollen daher die Weiterentwicklung der Pflege hin zu einem eigenständigeren Leistungserbringer vorantreiben. Besonders hierfür qualifizierte Pflegekräfte sollen nach einer speziellen (akademischen) Ausbildung künftig in die Lage versetzt werden, größere Verantwortung zu übernehmen. Die Erweiterung des pflegerischen Handlungsfeldes für diese speziell ausgebildeten Fachkräfte soll in bestimmtem Umfang das Recht zur Erkennung und Therapie von Erkrankungen sowie zur Überweisung umfassen.
Um Pflegekräfte solcherart stärker in die gesundheitliche Versorgung einzubinden und ihr Tätigkeitsprofil zu erweitern, sind jedoch Reformprozesse in der Aus-, Fort- und Weiterbildung der Pflege erforderlich.
Die künftigen Ärztinnen und Ärzte müssen ebenfalls diese neuen Formen der Zusammenarbeit erlernen und trainieren. Hilfreich dabei wären beispielsweise gemeinsame Lehrveranstaltungen. Auch im Bereich der innerbetrieblichen Fort- und Weiterbildung sollte, wenn dies inhaltlich möglich ist, eine Trennung der Berufsgruppen vermieden werden. Obwohl die Letztverantwortung in diesen Teams bei den Ärztinnen und Ärzten verbleibt, übernehmen sie stärker eine koordinierende und moderierende Funktion. Eine solche geänderte Rollenverteilung erfordert jedoch umfangreiche Klärungen etwa der Haftungsfragen und der Vergütung. Doch greift die Weiterentwicklung der Pflege allein in Richtung der Übernahme neuer Aufgaben zu kurz. Auch zwischen den Pflegekräften müssen die Aufgabengebiete neu austariert werden. Die Versorgungsbedarfe strukturschwacher Regionen legen weitere Aufgabenfelder der Pflege offen, die nicht primär medizinischer Art sind. So erfordert beispielsweise die Versorgung der zunehmenden Zahl alleinlebender alter Menschen mit Unterstützungsbedarf eine besondere fachliche Qualifikation der Pflegekräfte. Hierbei geht es um die Stabilisierung der häuslichen Versorgungssituation und die Steuerung von Versorgungsprozessen, Aufgaben, die bspw. durch ausgebildete Case-Managerinnen und -Manager oder Familiy Health Nurses übernommen werden sollten.”
aus: “Neue Wege gehen – Für eine bedarfsgerechte gesundheitliche Versorgung in ländlichen Regionen”, Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion Beschluss 13. September 2010
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